Wissenschafts-Skeptik: Keine Frage fehlenden Wissens oder fehlender Intelligenz
Ist Zweifel an Wissenschaft ein Zeichen für Dummheit?
Matthew J. Hornsey von der Wirtschaftsfakultät der Universität von Queensland stellte sich im Rahmen einer psychologischen Studie (1) folgende Frage, die Sie sich wahrscheinlich auch stellen:
Warum sind Initiativen erfolglos, die Einstellungen von Wissenschafts-Skeptikern ändern sollen? Etwa die Wissenschafts-Verweigerung von Impfgegnern oder Klimawandelskeptikern?
Warum funktionieren diese Versuche insbesondere dann nicht, wenn diesen Menschen wissenschaftlich belegte Fakten vorgelegt und auf „vernünftige“ Argumentation Wert gelegt wurde?
Als ich dem amerikanischen Psychologen Keith E. Stanovich vor einiger Zeit eine ähnliche Frage stellte (2), wies der bereits auf Folgendes hin.:
Es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass diese Menschen dümmer wären, als diejenigen, die sich als „Wissenschafts-Fans“ verstehen. – Es ist nicht so, dass beispielsweise fehlendes wissenschaftliches Wissen allein zu „falschen“ Einstellungen in Bezug auf Impfungen, Klimawandel und so weiter führt.
Stattdessen lehnen Wissenschafts-Skeptiker wissenschaftliche Beweise gar nicht pauschal ab, sondern konzentrieren sich auf einzelne Themen oder Felder, in denen sie wissenschaftliche Beweise ablehnen. Und: Sie haben Gründe oder starke Motive dafür, in bestimmten Bereichen auf Wissenschaft sozusagen zu „pfeifen“.
Welche Motive dies sein können, hat Matthew J. Hornsey in seiner Studie aus psychologischer Sicht zusammengefasst.
Er hat sechs Motivlagen gefunden, die er mit dem Ablehnen von Wissenschafts-Befunden in Verbindung bringt:
- Personen können durch Weltanschauungen, Ideologien usw. geprägt sein, die sie verteidigen
- Personen, können bestimmte starke Interessen haben, die sie verfechten
- Personen können einen Hang dazu haben, Entwicklungen und Ereignisse durch Hinweise auf Verschwörungen zu erklären
- Personen können durch Ängste und Phobien beherrscht sein
- Personen können das starke Bedürfnis haben, ihre Individualität zu betonen und
- Personen können stark durch ihre Identifikation mit bestimmten Gruppen und Vereinigungen geprägt sein
1. Personen und ihre Weltanschauung
Hornsey weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ideologische Vorstellungen insoweit eine Rolle spielen, als es verbreitete Annahmen in Bezug auf eine ideale Wirtschafts-Ordnung und ideale politische Machtverhältnisse gibt. – Als Beispiele nennt er Vertreter einer „freien Marktwirtschaft“, die einen „starken Staat“ mit Argwohn betrachten, der Maßnahmen zur Verhinderung von Klimawandel und zum Zurückdrängen der Auswirkungen von COVID-19 wirkungsvoll durchsetzt. – Werden in diesem Zusammenhang wissenschaftliche Forschungs-Ergebnisse zur Begründung von Maßnahmen genutzt, gerät tendenziell „Wissenschaftlichkeit“ in Misskredit. Selbst wenn die betreffende wissenschaftliche Arbeit nach strengen wissenschaftlichen Kriterien geprüft wurde.
2. Personen und ihre Interessenlagen
Hierbei erinnert Hornsey an die beispielhafte Forschung von Oreskes und Convey (3), die beobachtet haben, wie sich in der Vergangenheit Vertreter von Wirtschaftszweigen verhielten, die ihr Fortkommen durch Klimaschutzmaßnahmen gefährdet sahen. Sie investierten in Fehlinformations-Kampagnen, um zu suggerieren, Klimawissenschaftler wären sich nicht einig darin, dass Klimaveränderungen „menschengemacht“ sind.
3. Personen und ihre Verschwörungs-Mythen
Hornsey weist darauf hin, dass es viele Menschen gibt, die glauben, dass es üblich ist, dass mächtige Menschen mit bösartigen Intentionen Netzwerke spinnen. Diese Netzwerke hätten die Funktion, im Geheimen und mit Rückgriff auf Massenmedien ein ausgeklügeltes, böses Spiel zu treiben. Er verweist auf die Wirkung dieses Verschwörungs-Glaubens bei Meinungen zu Themen wie Pharmazeutik, Impfungen, Gentechnik, in Labor gezüchtetem Fleisch usw.
Aber: An dieser Stelle sei ergänzt, dass Verschwörungen in der Realität tatsächlich vorkommen. Die US-amerikanische Tabakindustrie hat beispielsweise die Öffentlichkeit in der Vergangenheit tatsächlich manipuliert, um das Krebsrisiko des Tabakkonsums zu verschleiern.
4. Personen und ihre Ängste
Ängste und Phobien können laut Hornsey beispielsweise bei medizinischen Themen dazu führen, dass Individuen nicht an Forschungsergebnisse glauben wollen. Menschen können panikartige Ängste vor der Kontamination mit fremdartigen Stoffen haben, Phobien mit Blick auf Spritzen und medizinischen Einrichtungen entwickeln. Solche Personen sind für die wissenschaftliche Diskussion der Vorteile von Impfungen schwer erreichbar.
5. Personen und ihre Individualität
Hier schaut Hornsey auf Personen, die ein exzentrisch-individualistisches Selbstverständnis haben. Bei ihnen kann das Bekenntnis zu abergläubischen Überzeugungen gepaart mit der Ablehnung des Erkenntnisanspruchs der Mainstream-Wissenschaft dazu beitragen, Forschungsergebnisse anzuzweifeln.
Ähnlich verhält es sich, wenn sich jemand als stolzer Nonkonformist sieht, der sich nicht vorschreiben lässt, was er zu denken oder zu sagen hat. Sich außerhalb des wissenschaftlichen Konsenses zu stellen, ist für so jemanden ein „billiger“ Weg und Anlass, seine konträre Identität zu inszenieren.
6. Personen und ihre soziale Identität
Mitglieder von engen Netzwerken und Gruppen mit starkem gemeinsamem „Glauben“ sind ebenfalls laut Hornsey für Wissenschafts-Skepsis anfällig.
Hierbei können Wissenschafts-feindliche Überzeugungen so sehr mit dem verwoben sein, was es bedeutet, Mitglied solcher Vereinigungen zu sein, dass ein Akzeptieren des wissenschaftlichen Konsenses einer Ablehnung der Gruppe gleichkäme.
Besonders deutlich wird dies bei fundamentalistischen Gemeinschaften etwa aus dem Umfeld der drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Verbreitung der Wissenschafts-Ablehnung per sozialer Medien selbst wiederum zu einer sozialen Identität verfestigt werden kann – beispielsweise als Anti-Impfer, Querdenker, Gemeinschaft der Klimaskeptiker usw.
Schlussfolgerung
Hornsey hat in seiner Studie sechs Gründe genannt, warum Menschen motiviert sind, Ansichten anzustellen, die nicht mit dem wissenschaftlichen Konsens übereinstimmen.
Diese Perspektive hilft zu erklären, warum Aufklärung und die Erläuterung von Daten manchmal nur begrenzte Auswirkungen auf Wissenschaftsskeptiker haben.
Daraus möchte er nicht ableiten, Aufklärung und die Verbreitung von Fakten wären sinnlos sind.
Ganz im Gegenteil: Die Weitergabe klarer, objektiver Informationen kann eine gute und unverzichtbare Verteidigungslinie gegen Fehlinformationen, Mythenbildung und Unwissenheit bilden.
Bei polarisierenden wissenschaftlichen Themen wie Klimawandel, Impfungen, Evolution und In-vitro-Fleisch scheinen diese Fakten allein nicht auszureichen.
Hornsey meint, dass eine erfolgreiche Kommunikation zu den verschiedenen konträren Themen ein sensibles Verständnis der psychologischen Beweggründe erforderlich ist, die Menschen dazu veranlassen, die Wissenschaft abzulehnen. Wer die Diskussion von Wissenschafts-Ablehnung verbessern will, sollte Maßnahmen entwickeln, welche jeweils genau auf die verschieden wirksamen Beweggründe abgestimmt sind.
Autor: Heinz W. Droste
Quellen
1: Hornsey, M. J. (2020): „Why Facts Are Not Enough: Understanding and Managing the Motivated Rejection of Science”; Current Directions in Psychological Science 2020, Vol. 29(6) S. 583 – 591
2: Droste, H. W. (2022): Entfessele Dein bestes Denken; S. 327 – 342
3: Oreskes, N. & Conway, E. M. (2010): Merchants of doubt
Bildnachweise
Unsplash:
· Melissa Walker Horn
· Mariel Reiser
· Sammy Sander
· Vlad Tchompavlov
· Warren Wong
· Chang Duong