Youtube Video: „Woher kommen unsere Gefühle“ – Voice over
Willkommen zur Einführung in die neue Wissenschaft der Emotionen von Lisa Feldman Barrett.
Wir werden jetzt gemeinsam in ihre innovative, richtungsweisende Theorie einsteigen.
Anlass dafür ist, dass ihr Buch, wie Gefühle gemacht werden, endlich auf Deutsch erscheinen wird.
7 Jahre nach der Veröffentlichung der englischsprachigen Original-Ausgabe. Wir sind offenbar ziemlich spät dran.
Also los!
Lisa Feldman Barrett – Vorstellung
Doch bevor wir in die Theorie eintauchen, soll Lisa Feldman Barrett zunächst kurz vorgestellt werden.
Sie ist eine renommierte, aus Kanada stammende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Emotionsforschung – Professorin für Neurowissenschaften und Psychologie an der Ostküste der USA. Ihre Arbeit und die Arbeit ihres Teams haben das Potential, unsere bisherigen Vorstellungen von Gefühlen und der Funktionsweise unseres Gehirns zu revolutionieren.
Lisa nennt ihre Theorie die Theorie der konstruierten Emotionen. Sie greift mit ihrer Theorie zurück auf die Ergebnisse und Auswertung aktueller Ergebnisse der Erforschung der neuronalen Netzwerke innerhalb unseres Gehirns.
Lisa Feldman Barrett
(https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lisa_Feldman.jpg
TED talk, CC BY 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/4.0>, via Wikimedia Commons)
„Keine Gefühls-Schaltkreise in unserem Gehirn“
Das ist übrigens Lisa Feldman Barrett bei einem Vortrag:
Sie hat mit ihrem Team Hunderte von Studien analysiert, die auf die Untersuchung von tausenden Versuchspersonen zurückgeht. Darüber hinaus haben sie und ihr Team Hunderte von Hirnen gescannt.
Und: Sie haben jede Hirnscan-Studie von anderen Wissenschaftlern analysiert, die zur Erforschung von Emotionen in den letzten 20 Jahren veröffentlicht wurde.
Das Resultat all dieser Forschung ist überwältigend einheitlich:
Auch wenn es uns so erscheint, als wären Gefühle in unseren Gehirnen fest verdrahtet oder würden durch das, was wir erleben, ausgelöst und von uns deshalb „erlitten“, ist das alles nicht wahr. – Wir werden nicht mit vorverdrahteten emotionalen Gehirn-Schaltkreisen zum Auslösen und Empfinden geboren.
Fakt ist: Kein Mensch in diesem Universum hat so etwas wie emotionale Schaltkreise in seinem Gehirn.
Die Theorie der konstruierten Emotionen
Lisa Feldman Barretts Theorie der konstruierten Emotionen erklärt, wie wir Emotionen erleben und wahrnehmen, obwohl es keine einprogrammierten Reflexe in unseren Gehirnen, unseren Körpern oder hinter unserem Gesichtsausdruck gibt, die für das Auftreten von Gefühlen verantwortlich sind.
Der Ansatz der Theorie der konstruierten Emotionen greift auf das Modell des sogenannten prädiktiven Prozessierens zurück, also der Annahme, dass unser Gehirn laufend vorausschauend arbeitet.
Lisa sieht hinter unseren Emotionen neuronale Mechanismen in Wirkung, die unserem Gehirn ermöglichen, laufend Vorhersagen dazu zu treffen, was als nächstes wahrscheinlich passiert. Sie verweist auf Forschungsergebnisse, die zeigen, wie unser Gehirn ständig Sinnesdaten vorhersagt und entsprechenden sensorischen Input simuliert.
Unser Gehirn ist ein Vorhersage-Organ
Was das mit unseren Emotionen zu tun hat? Lisa Feldman Barretts Argumentationslinie geht folgendermaßen:
Unser Gehirn macht ständig Vorhersagen und simuliert alle sensorischen Inputs innerhalb und außerhalb unseres Körpers. Dadurch interpretiert es, was diese Inputs bedeuten und wie es mit ihnen umgehen soll. Kontinuierlich überprüft das Gehirn, ob diese Vorhersagen, Simulationen, mit aktuell abgerufenen Sinnesdaten übereinstimmen.
Das heißt: Unser Gehirn überprüft seine Simulationen, indem es ständig nach Vorhersagefehlern sucht.
Diejenige Simulation, die anhand dieser Überprüfung jeweils mit den Sinnesdaten am besten übereinstimmt, ist der Gewinner, der zu unserer Erfahrung der Welt wird.
Im Fall der Emotionen geht es sozusagen um unsere „Innenwelt“, genauer um die Einschätzung, wie das Gehirn unser zunächst unklares Körpergefühl deuten soll, ob es ein Konzept von Angst, Ärger, Scham, Freude usw. anwenden soll.
Unser Gehirn steuert die Regulierung unseres Körperhaushalts mittels unserer Emotionen.
Kurz gesagt, gemäß Lisas Theorie empfinden wir eine bestimmte Emotion, weil unser Gehirn die Konstruktion eines bestimmten Gefühls bewirkt. Daraus folgt: Unsere Hirne konstruieren und gestalten unsere Emotionen, statt diese lediglich zu erleiden.
Dieser Prozess findet auf der Basis verschiedener neuronaler Netzwerke in unserem Gehirn statt. Er dient laut Lisa Feldman Barrett letztlich der Regulierung unseres Körperhaushalts, mit dem Ziel, uns am Leben und gesund zu erhalten.
So weit so gut!
Das ist schon einmal viel an Denkstoff.
Wir wollen das als Information zu Lisas Konzept und als neuen Blick auf unsere Gefühle erst einmal verdauen. An dieser Stelle werden wir deshalb noch nicht weiter in neurowissenschaftliche Details gehen. Auch die Deutung, was aus dieser Theorie für unser Alltagsleben, für die Erklärung von Krankheiten usw. folgt, sparen wir uns für nachfolgende Episoden auf. Heute ging es darum, einen ersten Eindruck zu bekommen, der hoffentlich Lust darauf macht, mehr über die neue Wissenschaft der Emotionen zu erfahren.
Quellen
- Barrett, L. F. (2017). The theory of constructed emotion: An active inference account of interoception and categorization. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 12(1), 1–23. https://doi.org/10.1093/scan/nsw154
- Barrett, L. F. (2018). How emotions are made: The secret life of the brain (Paperback edition). PAN Books
- Barrett, L. F. (2023). Wie Gefühle entstehen: Eine neue Sicht auf unsere Emotionen. Rowohlt Verlag
- Droste, H.W. (2022). RQ – Entfessele Dein bestes Denken. Pedion Verlag
- Gopnik, A. (2019, Oktober 11). The Ultimate Learning Machines. Wall Street Journal. https://www.wsj.com/articles/the-ultimate-learning-machines-11570806023
Fotonachweis (Beitagsbild)
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