Aus Fehlern lernen: Wichtiger als jede Erfolgsbilanz!
„Sie wissen ja, das Beste, das Ihnen und jedem anderen jungen Menschen passieren kann, (…) ist es, bankrott zu gehen.“ (…) „Es wäre nicht nur am Besten für Sie, bankrott zu gehen, viel besser wäre noch, wenn Sie zweimal bankrott gingen!“
Edward de Bono (1995), Taktiken und Strategien erfolgreicher Menschen – Erfolgsfaktoren erkennen, MVG-Verlag 1995, S. 66 – 67)
„Lernen Menschen aus Misserfolgen?“ – Das ist die Frage, die zwei Psychologinnen in den USA untersucht haben: Dr. Lauren Eskreis-Winkler – von der Kellogg School of Management, Northwestern University, Illinois – und Dr. Ayelet Fishbach – von der Booth School of Business, University of Chicago.
Dazu veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe von „Perspectives on Psychological Science“ unter dem Titel „You Think Failure Is Hard? So Is Learning From It.“ einen umfangreichen Artikel. (Perspectives on Psychological Science (2022))
Weil jeder Mensch Fehler macht und deshalb herausgefordert ist, daraus zu lernen, lohnt sich anzusehen, was die beiden Psychologinnen aus der Forschungsliteratur herausgearbeitet haben:
Emotionale und kognitive Barrieren
Zusammengefasst ist die Antwort der beiden auf die Eingangsfrage zum Lernen aus Fehlern:
Es gibt sowohl emotionale als auch kognitive Barrieren, die Menschen davon abhalten, aus ihren Fehlern zu lernen.
Emotional gesehen, sind Misserfolge häufig Bedrohungen des Egos einer Person. Daraus kann folgen, dass sie abschaltet und die Informationen ausblendet, die ein Misserfolg als Chancen für eine Verhaltensverbesserung bietet.
In kognitiver Hinsicht haben Personen Schwierigkeiten mit ihren Fehlern, weil die Hinweise aus Misserfolgen meist nicht unmittelbar klar sind. Um aus ihnen zu lernen, müssen Individuen möglicherweise anstrengende Analysen vornehmen.
Informationen zu Misserfolgen sind negative Informationen.
Die beiden Autorinnen sehen als Hintergrund dieser Schwierigkeiten mit Fehlern eine allgemeine Verhaltenstendenz. – Sie stellen die Hypothese auf, dass Menschen dazu neigen, negative Informationen über sich zu meiden, selbst wenn diese Informationen Wissenswertes enthalten und deren Ignorieren mit Risiken verbunden ist.
Als Beispiele nennen die Psychologinnen eine Studie über Personen, die sich auf HIV testen ließen – 10 % fragten niemals das Ergebnis ihres Tests ab. Weiteres Beispiel ist aus ihrer Sicht das häufig beobachtbare Verhalten von Neulingen in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern – sie neigen dazu, eventuell negativem Leistungsfeedback aus dem Weg zu gehen.
An dieser Stelle betonen die beiden Autorinnen: Zu den negativen Informationen, mit denen Menschen sich meist ungern beschäftigen, gehören Belege ihrer Misserfolge. Um diesen aus dem Weg zu gehen, greifen sie zu Vermeidungsstrategien. Zum Beispiel spielen sie die Wichtigkeit der Betätigungsfelder, in denen sie versagt haben, herunter („Was soll’s“-Effekt) und meiden diese in Zukunft.
Affekte als Hintergrund
Wie das im Einzelnen passiert? – Als Hintergrund verweisen die Autorinnen darauf, dass Individuen Scheitern als persönlich bedrohliches Ereignis erfahren. Ein Misserfolg, der das Selbstgefühl eines Menschen berührt, kann seine geistige und körperliche Gesundheit untergraben.
Das individuelle Bedürfnis, sich gut zu fühlen, setzt in gewissem Maße daran an, sich selbst als kompetente Person sehen zu können. Ist dieses positive Selbstbild gefährdet, kann der Wunsch, sich gut zu fühlen, dazu führen, dass Individuen wie beschrieben ihr ursprüngliches Ziel mit einem Mal als deutlich weniger erstrebenswert sehen. Damit nehmen sie dem Verfehlen dieses Ziels die Dramatik, finden sich damit ab und sind entsprechend wenig motiviert, aus den Fehlern zu lernen, die zum Scheitern geführt hatten.
Denk-Schwächen als Hintergrund
Wie gesehen analysieren die beiden Psychologinnen auch kognitive Hintergründe als Ursachen für mangelhaftes Aufarbeiten von Misserfolgen. Sie sehen vor allem, dass ein Lernen aus Scheitern weniger direkt ist als das Lernen aus Erfolg. Um aus Erfolgen zu lernen, müssen wir uns lediglich merken, was wir richtig gemacht haben und können unseren Erfolg entsprechend wiederholen. Lernen aus Fehlern erfordert dagegen eine wesentlich größere geistige Anstrengung. Betroffene Personen müssen sich Zeit nehmen, um nachzuvollziehen, wie etwas „schiefgegangen“ ist, was die wahrscheinlichen Ursachen sind und was sie zukünftig zur Fehlervermeidung unternehmen können
In diesem Zusammenhang betrachten die Autorinnen auch, wie aufwändig es für Individuen ist, über Misserfolge zu sprechen. Denn offenbar muss die Kommunikation über Fehler ausführlicher und durchdachter sein als die Kommunikation über Erfolge. Menschen ziehen es vor, über Positives zu sprechen – sie zögern, negative Informationen weiterzugeben. Und wenn sie dann doch über Negatives sprechen, neigen sie dazu, vorsichtig vorzugehen. Sie versehen ihre Beschreibungen von Misserfolgen meist mit detaillierteren und durchdachteren Erläuterungen. Personen, die ihre „Negativ-Erfolge“ mitteilen wollen, reflektieren wahrscheinlich lange und gründlich über ihre Erfahrungen, um ihr Versagen schlüssig und plausibel zu vermitteln.
Aus Fehlern lernen: Strategien
Nachdem Dr. Lauren Eskreis-Winkler und Dr. Ayelet Fishbach skizziert haben, was Ursachen für das Meiden der Aufbereitung von Misserfolgen sein können, beschäftigen sie sich auch mit Lernstrategien.
So empfehlen sie bei der emotionalen Bewältigung von Fehlern, beim Analysieren von Missgeschicken eine neutrale Haltung einzunehmen. Um keine Schuldgefühle zu forcieren, sollen wir unsere Fehlgriffe so ansehen und analysieren, als wären sie einer dritten Person unterlaufen.
Zur kognitiven Bewältigung von Fehlern empfehlen die beiden Psychologinnen, Ressourcen zur Bearbeitung zu erhöhen. Wenn beispielsweise mehr Zeit für das Lernen aus Misserfolgen aufgewendet wird, kann die Fähigkeit, daraus zukünftige Verhaltensverbesserungen abzuleiten erhöht werden.
Mit Blick auf Organisationen und Unternehmen weisen die beiden Autorinnen darauf hin, dass das Lernen aus Misserfolgen ein Bestandteil der Organisationskultur werden kann. Sie meinen beobachtet zu haben, dass Organisationen zunehmend das Lernen aus Fehlern bei der Fortentwicklung ihrer Kultur berücksichtigen.
Zum Schluss: Warum das Lernen aus Fehlern für uns alle wichtig ist.
Am Ende bringen die Autorinnen noch einmal auf den Punkt, warum Lernen aus Missgeschicken wichtig ist:
Die Tendenz, Misserfolge zu ignorieren, wirkt sich nicht nur auf die Geschicke einzelner Personen aus. Die Gesellschaft als Ganzes wird in Mitleidenschaft gezogen, wenn Misserfolge nicht geteilt werden. Wenn Informationen über Misserfolge nicht weitergegeben werden, ist dadurch soziales Lernen und Gruppenwissen kompromittiert.
Warum?
Menschen übernehmen regelmäßig die Erinnerungen, Bewertungen und Einstellungen anderer Personen als wären es die ihrigen. Die Grenzen zwischen individuellem Wissen und Gruppenwissen sind so fließend, dass die meisten Menschen nicht nachhalten, wo das mit der sozialen Umgebung unbewusst geteilte Wissen endet und wo ihr persönliches Wissen beginnt. Daraus schließen die Psychologinnen, dass Personen Informationen und Wissen über Misserfolge genauso verarbeiten und Lernerfolge haben können, als wären diese ihnen selbst unterlaufen.
Das Lernen aus Fehlern hat für die Verbesserung zukünftigen Handelns entscheidende Bedeutung. Der Austausch von Wissen über Misserfolge bietet deshalb einen sicheren Weg, um zukünftig vor riskanten Entscheidungen und kostspieligen Fehlern zu schützen.
Offenbar sind so betrachtet Informationen über Misserfolge ein hohes öffentliches Gut. – Also kommt es darauf an, zunächst zu lernen, die schlechten Gefühle auszublenden, mit denen sie häufig verknüpft werden.
Quellen
- de Bono, E. (1995)), Taktiken und Strategien erfolgreicher Menschen. Erfolgsfaktoren erkennen, MVG-Verlag 1995, S. 66 – 67
- Eskreis-Winkler, L.; A. Fishbach: „You Think Failure Is Hard? So Is Learning From It.“, in: Perspectives on Psychological Science(2022), Vol. 17(6) 1511– 1524; DOI: 10.1177/17456916211059817; www.psychologicalscience.org/PPS
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