Warum scheitern kompetente Finanz-Experten im Krypto-Desaster?
Kryptowährungs-Börse FTX zahlungsunfähig
Spannend: Letzte Woche (KW 45 – 2022) wurde die populäre Kryptowährungs-Börse FTX zunächst zahlungsunfähig und musste ein paar Tage später Konkurs anmelden. FTX-Gründer und „Krypto-Wunderkind“ Sam Bankman-Fried gab seine CEO-Position auf.
Bewirkt durch diese Schieflage einer großen Handelsplattform beispielsweise für Bitcoin werden wahrscheinlich viele Kundinnen und Kunden ihr dort angelegtes Geld verlieren.
Bitcoin-Handelsplattformen bieten keine mündelsicheren Anlageoptionen.
Vielen Investitions-Experten war vorher bereits klar: Der Handel mit Kyptowährungen ist unsicher – das Verlustrisiko an den Kryptowährungs-Börsen ist groß.
Hintergrund ist unter anderem: Die „Kunden“ müssen meistens die Schlüssel ihrer „Krypto-Wallets“ übergeben, damit die jeweilige Handelsbörse damit „arbeiten“ kann. Juristisch gesehen gehören die Inhalte der Wallets damit den Plattformen. Gehen diese Pleite, werden die Kunden-Werte zur Begleichung von Plattform-Schulden herangezogen. Die Kunden-Einlagen sind nicht wie bei einem klassischen Bankgeschäft geschützt.
Welche Auswirkungen der Crash der Kryptowährungs-Börse FTX in der Folge auf die Kurse von Kryptowährungen haben wird, muss sich noch zeigen.
Relativ sicher ist, dass prominente Investoren ihr Geld verlieren – sogar die Investmentprofis eines kanadischen Pensionsfonds scheinen zu den Finanzexperten zu gehören, die kurzfristig hunderte Millionen Dollar abschreiben müssen.
Zu wenig intelligent, um Geld vernünftig anzulegen?
Wie können private Anleger und offenbar sogar Investment-Fachleute auf solche „windigen“ Anlagen hereinfallen, die zu den in den letzten Wochen beobachteten Ausfällen führten?
Sind diese Menschen nicht intelligent genug oder sind sie zu ungebildet, um Geld „vernünftig“ anzulegen?
Nein! – Das Gegenteil ist häufig der Fall! – Personen können gerade wegen ihrer hohen Intelligenz auf unsichere Finanztransaktionen oder sogar Investmentbetrügereien hereinfallen.
Wie das möglich ist?
Schauen wir uns ein paar Befunde aus der Psychologie an: (Droste 2022, S. 395-6)
So gab beispielsweise die US-amerikanische National Association of Securities Dealers (NASD) – eine Berufs-Organisation im Bereich des Investment-Bankings – eine Studie zum Hintergrund von Investmentbetrügereien in Auftrag. (NASD Investor Education Foundation, 2006)
Diese Studie untersuchte die Überzeugungen und demographischen Merkmale von 165 Personen, die jeweils per “Investitions-Masche” um mehr als 1.000 Dollar betrogen worden waren, und verglich sie mit denen einer Kontrollgruppe von Personen, die nicht Opfer von Finanzbetrug geworden waren.
Die Studie fand heraus, dass die Opfer von Anlagebetrug signifikant höher gebildet waren als die Vergleichsgruppe – 68,6 Prozent der Opfer von Anlagebetrug hatten mindestens einen Bachelor-Abschluss, verglichen mit nur 37,2 Prozent in der Kontrollgruppe.
Aus diesen Statistiken lässt sich ableiten, dass der Großteil der Opfer von Anlagebetrug von mittlerer oder sogar hoher Intelligenz ist.
Die von Anlagebetrügern genutzten abgehobenen “Narrative” – Investment-Stories – repräsentieren offenbar eine Art von „vergiftetem Wissen“ bzw. von „kontaminierter Mindware“, die vor allem auf Personen mit höherer Intelligenz Anziehungskraft ausübt.
Schlaue Menschen wollen offenbar betrogen sein, wenn auch auf intellektuell “anspruchsvolle” Weise.
Der Kognitions-Psychologe Keith E. Stanovich (Stanovich, 2009) sieht hinter Phänomenen wie dieser Zugänglichkeit für Investment-Betrügereien eine weitverbreitete Neigung zu irrationalem Verhalten, das auf „Wissen“ basiert, das von Menschen mit mittlerer bis hoher Intelligenz ausgeheckt wird, und die vor allem mit entsprechend hoher kognitiver Kompetenz ausgestattete Personen infiziert.
Der blinde Fleck unserer Voreingenommenheit
Was sich andeutet: Wir sind nicht gut beraten, die Beurteilung von Denk-Kompetenz und Urteilsfähigkeit auf die Würdigung eines hohen IQ einzuengen.
Es ist ein großes Risiko, die Urteilskraft von Menschen allein auf der Basis ihres Intelligenz-Quotienten zu bewerten – mag dieser auch beeindruckend hoch sein.
Das stellen Ergebnisse von Untersuchungen deutlich heraus, die an der sogenannten “Verzerrungs-Blindheit” von Personen ansetzen. Bezeichnet wird diese Blindheit als “bias blind spot” (“Blinder Fleck für Voreingenommenheit”) – in Analogie zum blinden Fleck in unserem Auge – die Lichtrezeptoren-freie Stelle in unserer Netzhaut, an welcher der Sehnerv eintritt. Mit diesem blinden Fleck der Voreingenommenheit ist das Phänomen gemeint, dass wir recht gut darin sind, bei anderen Personen Urteilsverzerrungen zu erkennen, aber gleichzeitig unsere eigene Voreingenommenheit übersehen.
Namensgeber des “bias blind spot” ist die Sozialpsychologin Emily Pronin, die hierzu gemeinsam mit ihren Kollegen Daniel Lin und Lee Ross am Department of Psychology der Princeton University geforscht und publiziert hat. (Pronin et al., 2002) Sie konnten zeigen, dass sich Berufsgruppen wie insbesondere Investmentbanker kaum über die Faktoren im Klaren sind, die ihre Entscheidungen beeinflussen.
Als sich daran anknüpfend Keith E. Stanovich gemeinsam mit Kollegen mit diesem Defizit beim Erkennen der eigenen Voreingenommenheit beschäftigte, zeigte sich Folgendes:
Der “bias blind spot”-Effekt – die Verzerrungen anderer Personen verstärkt wahrzunehmen und die eigenen biases zu übersehen – wird durch hohe Intelligenz nicht abgeschwächt. (West et al., 2012) Es stellte sich heraus, dass ein hoher IQ diesen Effekt sogar verstärkt; dennoch waren intelligentere Versuchspersonen der Überzeugung, aufgrund ihrer intellektuellen Kompetenz weniger voreingenommen zu sein als weniger intelligente.
Fazit
In vielen Lebenslagen und professionellen Betätigungsfeldern führt die Fixierung auf den IQ von Akteuren in die Irre. Es kommt stattdessen auf Kompetenzen an, die statt per Intelligenz-Messung per Rationalitäts-Messung ermittelt werden – eine Reihe entsprechender Rationalitätstests finden sich hier. (Link)
Quellen
- Droste, H. W., Entfessele Dein bestes Denken (2022)
- NASD Investor Education Foundation, 2006: https://www.sec.gov/news/press/extra/seniors/nasdfraudstudy051206.pdf
- Pronin, E., Lin, D., & Ross, L. (2002). The Bias Blind Spot: Perceptions of Bias in Self Versus Others. Personality and Social Psychology Bulletin, 28, 369–381. https://doi.org/10.1177/0146167202286008
- Stanovich, K. E. (2009a). What Intelligence Tests Miss (1. Aufl.). Yale University Press
- West, R. F., Meserve, R. J., & Stanovich, K. E. (2012). Cognitive sophistication does not attenuate the bias blind spot. Journal of Personality and Social Psychology, 103(3), 506–519. https://doi.org/10.1037/a0028857
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