Intelligente Menschen haben lange Beine, große Köpfe und eine schmale Taille.
Das Thema Intelligenz ist ein absoluter Dauerbrenner.
Um dies zu erreichen, wird es laufend neu aufgewärmt – bisweilen so heftig, dass es überkocht.
Dabei übernehmen liebgewonnene aber längst widerlegte Vorurteile eine wichtige Rolle. Die Wirkung dieses falschen Wissens ist manches Mal derart grotesk, dass die dabei geleistete unwissenschaftliche Intelligenz-Analyse enorm unterhaltsame und amüsante Züge gewinnt.
So hat die Zeitung „freundin“ in einem jüngst geposteten Beitrag behauptet, Forscher hätten die genetischen Voraussetzungen für Intelligenz gefunden.
Dabei ist aus der seriösen Forschung bekannt, dass es keine Chance gibt, so etwas wie eindeutige genetische Voraussetzungen unserer Intelligenz zu ermitteln (1).
Trotzdem argumentiert die „freundin“-Redaktion (interessant: niemand der Kollegen dort gab seinen Namen für diesen Artikel her):
- IQ-Tests wären langwierig und aufwendig. (Einwand: seit über 100 Jahren werden IQ-Tests entwickelt und sind für vielerlei Anwendungssituationen gut verfügbar.)
- Es gäbe eine schnelle und einfache Methode, die Aufschluss über unsere Intelligenz gäbe, welche darin besteht, in den Spiegel (gemeint ist nicht das Nachrichten-Magazin!) zu schauen.
- Denn es gäbe wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass unser genetisch bestimmtes Körperäußeres direkt anzeigt, wie hoch unser IQ ist.
- Es wären fünf Körpereigenschaften, die unseren IQ spiegeln: lange Beine, Linkshändigkeit, schmale Taille, Form des Kinns und großer Kopf als Säugling.
Diese Theorie hat offensichtliche Schönheitsfehler
- Schauen wir in den Spiegel, können wir zunächst gar nicht erkennen, ob wir Links- oder Rechtshänderin/er sind. Und: Die Theorie der Prägung unseres Denkens durch Gehirnhälften wird von seriösen Forschern nicht mehr verfolgt und gilt als Mythos. (2)
- Auch ob wir als Säuglinge einen vergleichsweise großen oder kleinen Kopf hatten, lässt sich hier nicht erkennen. (Aber frag doch mal Deine Mutter! Hattest Du als Säugling tatsächlich einen derart großen Kopf, dass Deine Familie von Deiner Entbindung an von Deiner abnorm großen Intelligenz beeindruckt war? – Wenn ja, dürfte das kein schöner Anblick gewesen sein!)
- Heute ist bekannt, dass die per IQ-Test gemessene Intelligenz zu ca. 80 Prozent auf der Leistungsfähigkeit unseres Arbeitsgedächtnisses basiert. Mit Blick auf die „freundin“-Theorie: Unsere Gedächtnisleistung lässt sich nicht an unserem Körperäußeren ablesen. (3)
- Fazit: Bei der „freundin“-Meldung handelt es sich um einen ausgemachten Blödsinn.
Obwohl Fake, beeinflusst es dennoch, was wir glauben.
Zwar haben wir uns hier den Gedankengang der „freundin“ genauer angesehen.
Doch Hand auf’s Herz:
Uns als Leserinnen und Leser war eigentlich von Anfang an klar: Die Redaktion verbreitet hier Blödsinn, Bullshit bzw. Fake-Wissenschaft, um uns dazu zu bringen, ihren Beitrag anzusehen und bis zum Schluss zu lesen.
Offenkundig steckt dahinter ein massives Manipulations-Interesse: Am Ende des Beitrags befinden sich drei Werbeanzeigen für „Hirntrainings-Produkte“, zu denen wir gezielt geleitet wurden: ein Holzpuzzle, ein Buch und ein Kartenspiel.
Nun könnte jemand argumentieren: Das war derart dick aufgetragen mit langen Beinen, schmaler Taille, großem Kopf usw. Niemand glaubt so etwas – es handelt sich ganz einfach um einen lustigen „populärwissenschaftlichen“ Beitrag. Völlig harmlos!
Doch dem ist zu widersprechen, schauen wir in die aktuelle psychologische Forschung:
Blicken wir zur psychologischen Abteilung der bekannten Stanford University in den USA. Dort gibt es den Bereich „Stanford Impact Labs“. Hier bietet die Universität Teams von Forschern und Praktikern aus Regierung, Wirtschaft, gemeinnützigen Organisationen und Philanthropie ein gut ausgebautes Forschungs-Umfeld. Die Teams arbeiten gemeinsam an drängenden sozialen Problemen, die sie selbst wählen, um an praktischen Fortschritten zu forschen.
Einer der Forscher dort ist der Psychologe Ph.D. Max Hui Bai, der aus China stammt.
Max Bai erforscht den Bereich, mit dem wir es in unserem Beitrag zu tun bekommen haben: Mit genau solchen Fake-News, bei denen derjenige, der diese hört oder liest, von Anfang an weiß, dass es sich um Unsinn handelt.
May ist in diesem Zusammenhang zu Ergebnissen gekommen, die nachdenklich machen sollten (4):
Seine Forschung befasst sich im Detail mit der Frage, ob Fehlinformationen, die wir bereits als solche erkennen, unsere Überzeugungen und Einstellungen beeinflussen können oder nicht.
Das Ergebnis seiner Forschung ist vollständig anders, als unser „gesunder Menschenverstand“ uns suggeriert. Denn wir werden beeinflusst selbst dann, wenn wir den Fake durchschaut haben.
Was hat er im Einzelnen herausgefunden?
Auf der Basis von fünf Experimenten zeigt sich, dass sich Überzeugungen und Verhaltensabsichten auch dann noch ändern, wenn Versuchspersonen etwas lesen, von dem sie wissen, dass es erfunden ist. Das funktioniert sogar im politischen Bereich. Es konnte unter anderem gezeigt werden, dass als Falschnachrichten erkannte Fake-News zu polarisierten politischen Haltungen führen.
Das heißt, Personengruppen können beispielsweise durch Einsatz deutlich falscher Informationen zu Themen wie Covid-19 oder der russische Überfall auf Nachbarstaaten (weitere werden erfahrungsgemäß bald folgen) „spielend“ gegen andere „aufgebracht“ werden.
Was folgt für die Einschätzung von Intelligenz?
Max Bai leitet aus seiner Forschung ab, dass mehr dafür getan werden muss, um Menschen von vornherein vor Fehlinformationen zu schützen. Das wäre viel wichtiger, als Personen nachträglich – nachdem sie bereits mit „Quatschmeldungen“ infiziert wurden – mühevoll aufzuklären.
Natürlich wäre die Stärkung der Fähigkeit, Fehlinformationen als Fälschungen zu erkennen, eine gute Sache. Aber besser wäre es, Social-Media-User davon zu überzeugen, zukünftig das „geistlose Teilen“ von Posts zu unterlassen. Denn allzu oft schauen wir auf Social-Media-Feeds und teilen diese ohne die Echtheit des Inhalts zu kennen oder zu überprüfen. Aus der Sicht von Max Bai ist dies eine der gefährlichsten Arten von Online-Verhalten, die Menschen an den Tag legen können.
Und kommen wir damit noch einmal auf den Fake-IQ-Post der „freundin“ zu sprechen:
Offenbar ist es mehr als grober Unfug, eine gefälschte Meldung über den genetischen Ursprung der Intelligenz in einer großen Lesergruppe zu verteilen. Denn bei nächster Gelegenheit kann es vorkommen, dass Menschen, die keine schmale Taille oder lange Beine haben, von „Freundinnen“ als „unintelligent“ diskriminiert werden.
Und das nur deshalb, weil ein Medium auf billige Art irgendwelche pseudo-psychologischen Produkte bewerben möchte.
Quellen
(1), Hunt, E. B. (2012). What Makes Nations Intelligent? Perspectives on Psychological Science, 7(3), 284–306. https://doi.org/10.1177/1745691612442905
(2) Droste, H. W. (2022), Entfessele Dein bestes Denken.
(3) Ebenda S. 177 – 178
(4) Max Hui Bai Website: https://www.maxhuibai.com/ – Interview im Podcast der Association for Psychological Science https://www.psychologicalscience.org/news/2022-utc-fake-news-i-believe-it.html
Fotos
Unsplash:
· Hugh Han
· Szaboloc Toth
· Ye Linn Wai